Abbildung: Vorläufige Teilergebnisse des verifizierten
Zusammenhangs von archäologischer Fundstellenverteilung und
geoökologischern Naturraumbedingungen an der untern Oder am Beispiel der
in Klassen zusammengefassten Bodentypen von der späten Römischen
Kaiserzeit bis zum slawischen Frühmittelalter – vergleichend die Analyse
der Fundstellen und deren Umfeld im „Ranking-Verfahren“.
Forschungsansatz:
Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde erstmals eine flächendeckende, und vor allem systematische, Umfeldanalyse der Fundstellen der frühen Eisenzeit bis zum slawischen Frühmittelalter in der Oderregion angewandt. Dazu wurde ein neues methodisches Konzept entwickelt, wobei innerhalb eines normierten Schlüssels der Geoinformationen die Daten zur folgenden kartographischen und statistischen Analyse erhoben wurden. Als Datenbasis konnten, durch entsprechende Kooperationspartner der Fachbehörden und Landesämter, hoch detaillierte, nicht frei verfügbare Datensätze und digitale Kartenbestände standardisiert ausgewertet werden. Daneben wurden aber auch als geoarchäologische Synthese die archäologischen Fundstellenmeldungen in den Archiven und in der relevanten Fachliteratur als Datenbank und Katalog grenzüberschreitend zusammengeführt. Im Rahmen dessen erfolgte eine intensive Auseinandersetzung mit dem Fundmaterial, da viele völkerwanderungszeitliche Fundstellen oft nicht als solche erkannt werden. So entstand ein ganz neues, erstaunlich dichtes Fundstellenbild. Für die anderen Zeitstellungen, die vergleichend mit einbezogen wurden, konnte auf Katalogarbeiten zurückgegriffen werden. Aber auch für diese Fundstellen wurde die Fundstellenart und -datierung intensiv geprüft, da möglichst fein gegliederte Datierungen eine unbedingte Grundlage der folgenden Umfeldanalysen waren.
So wurde ein überarbeitetes Chronologiesystem in Stufen I-III für die frühe Eisenzeit, Stufen A-C für die römische Kaiserzeit, Stufen D-E für die Völkerwanderungszeit und Stufe fSP für das slawische Frühmittelalter erarbeitet, das auch in Bezug zur Fachliteratur des Untersuchungsraums Analogien zulässt. Neben der sehr wichtigen Feindatierung der Fundstellen wurden auch deren Fundlage und -umstände kritisch beleuchtet und exakt korrigiert, da diese selektiven Faktoren stark auf das Fundstellenbild des Abschnitts der siedlungsarchäologischen Studie wirken. Im Rahmen dieser Quellenkritik wurde auch auf die Forschungsgeschichte eingegangen, die den Forschungsstand grundlegend prägte. Innerhalb dieser wurden auch auf der Mikroebene neueste Untersuchungen zum Siedlungsaufbau und zu Hauskonstruktionen der Völkerwanderungszeit im Odergebiet vorgestellt.
Die darauf folgende Analyse innerhalb eines Geographischen Informationssystems (GIS) ist in vier verschiedene methodische Ansätze unterteilt worden. Als erste GIS-Untersuchung erfolgte eine Umfeldanalyse (site catchment analysis), der topographischen Lage, des Bodens und weiterer Parameter, bei der die Geodateninformationen in einem wahrscheinlichen Aktionsradius um die jeweiligen Siedlungen der einzelnen Stufen aufgenommen und statistisch ausgewertet wurden. So konnten statistisch signifikante Klimaproxys zum relativen Feuchteindex und Temperaturverlauf des Paläoklimas herausgestellt werden. Des Weiteren wurden die dezidierenden Standortfaktoren des Bodens und des geoökologischen Siedlungsumfelds sowie verzerrend wirkende anthropogene und natürliche Überprägungen diskutiert. Die ökologischen Zeigerwerte wurden in Transformationsverfahren hinsichtlich ihrer Verwertbarkeit und Aussagekraft für Belange von prähistorischen, agrarisch orientierten Kulturen, in prägnanten Klassen neu zusammengestellt und auf Klimasignale überprüft worden. Zur Gewährleistung der Nachvollziehbarkeit und klaren Belegbarkeit der Ergebnisse wurde auf komplexere, analytisch beschreibende, stochastische Verfahren verzichtet. Die identifizierten Klimasignale stellen dabei keine absoluten Daten dar, sondern es handelt sich um indirekte, relative Daten, die jeweils vergleichende Aussagen zur vorhergehenden und folgenden Stufe zulassen.
Im zweiten Teil der GIS-Untersuchung wurde die Fundstellenlage, jeweils nach den einzelnen Fundstellenarten in den jeweiligen Zeitstufen im geographischen Raum topographisch erforscht. So konnten die Tendenzen der Besiedlungsdynamik anhand der Fundstellenkartierungen und daraus resultierender Besiedlungsmuster einzelner Siedlungskammern erfasst werden.
Der dritte GIS-Teil analysierte, basierend auf
Voronoi-Diagrammen der Fundstellenkartierungen als prähistorische Raumodelle,
die prähistorischen Raumkonzepte im zeitlichen Verlauf. In einer
kartographischen Rekonstruktion der Siedlungskammern wurde das Verhältnis vom
anthropogen beeinflussten Wirtschaftsraum und weitgehend natürlichen
Waldgebieten visualisiert. Im vierten GIS-Analyseteil wurden der Nutzen und das
Potential von fernerkundlichen Methoden sowie historischen Kartenwerken
untersucht.
Zum Schluss konnten anhand von vergleichenden
Klimaforschungen der Palynologie, Dendrochronologie, der Gletscherstände mit
Eisbohrkern-Isotop-Analysen, der paläohydrologischen Flusspegel und mathematischer
Modelle zur Errechnung der Paläotemperatur, die im Rahmen der GIS-Umfeldanalyse
herausgestellten Klimasignale überprüft und diskutiert werden. So wurde die hohe
Wahrscheinlichkeit und Prägnanz der hier erarbeiteten Umfeldanalyse und deren
besonderer feinchronologischer Wert signifikant belegt.
Folgende geoarchäologische und kulturgeschichtliche Ergebnisse zum Siedlungswesen und zu den Umweltbedingungen des Odergebiets konnten herauskristallisiert werden:
Aus der frühen Eisenzeit sind im Vergleich
zu den zahlreichen Gräberfeldern der Göritzer Gruppe im Odergebiet nur sehr
wenige Siedlungen mit Hausbefunden dokumentiert worden. Die Siedlungen waren
meist als Einzelgehöfte mit Wirtschaftsnebengebäuden strukturiert, wobei die
Siedlungsflächen beachtliche Ausmaße durch häufige Hausstandortverlagerungen in
Form von „wandernden Siedlungen“ erreichen können. Grundsätzlich unterscheiden
sich die bekannten Hausbefunde nicht wesentlich von denen der folgenden
römischen Kaiserzeit. Die Fundstellen der frühen Eisenzeit befinden sich oft
auf Schwemmfächern und Hangfüßen hin zu den Niederungen. Aufgrund der erkannten
Klimasignale ist für die gesamte frühe Eisenzeit (Stufen I-III) von nur leicht
schwankenden Feuchteverhältnissen auszugehen, die jedoch allgemein auf einem
recht geringen Niveau waren. Die Bedeutung des Ackerbaus gegenüber der
Viehzucht war recht gering. Die Temperaturvariabilität war im Mittel relativ
gering und erreichte in Stufe II ein Minima. Die Raumstruktur der entwickelten
Voronoi-Diagramme weist ein stark flächig streuendes Besiedlungsmuster auf. Offenbar
kam es nicht nur innerhalb kontinuierlich bestehender Siedlungen zu
Verlagerungen, sondern zeitgleich auch zu häufigem Standortwechsel, was eine
intensive, weiträumig greifende Beeinflussung der natürlich potentiellen
Vegetation der Waldgesellschaften zur Folge hatte. Zum Ende der frühen
Eisenzeit (Stufe III) verweisen die Klimaproxies auf eine schnell einsetzende
Trockenphase. Damit einhergehend nahm die Temperatur deutlich zu. Gleichzeitig
verweisen die Zeiger für Viehhaltung auf eine geringere Bedeutung und die des
Ackerbaus lassen eine Zunahme plausibel erscheinen. Darüber hinaus ist auch ein
kultureller Wandel im archäologischen Fundmaterial zu erkennen, der zum einen
das Ende der Göritzer Gruppe markiert und zum anderen den seit der
Spätlatènezeit stärkeren Einfluss der elbgermanischen Jastorf Kultur verdeutlicht.
Die Klimainstabilität setzte sich
auch noch in der beginnenden frühen römischen Kaiserzeit fort. In Stufe A stieg
in einer sehr kurzen Zeitspanne, von wohl nur wenigen Jahrzehnten, die
Humidität sehr drastisch an. Nun war Ackerbau auf den stark Wasser abführenden
(drainenden) Sandböden des Untersuchungsgebietes besonders geeignet, die zuvor
unter anderen klimatischen Bedingungen noch ackerbaulich recht ungeeignete
Standorten waren. Mit dem zunehmenden Ackerbau einhergehend wurde die
Viehhaltung als wirtschaftliche Erwerbsform weniger interessant. Da leider nur
sehr wenige Siedlungsgrabungen der Stufe A aus dem Untersuchungsgebiet
vorliegen, lässt sich zur inneren Struktur der Siedlungen nur wenig sagen. Vergleiche
zu benachbarten Regionen erschließen die große Ähnlichkeit der Siedlungsbefunde
mit denen der folgenden Stufe B. Offensichtlich kam es aber nicht zu einem
echten Kontinuitätsbruch mit der früheisenzeitlichen Besiedlungstradition, denn
zum einen belegen die Gräberfelder eine fortlaufende Nutzung und zum anderen
weisen die Siedlungsbefunde eine räumliche Nähe zu vorhergehenden Siedlungen
auf. Die Siedlungen und damit die Bevölkerung zog sich aber in die klimatischen
und naturräumlichen Gunstgebiete zurück, wobei eine stark abgenommene Bevölkerungsanzahl
in Stufe A wohl realistisch ist – trotz bestehender methodischer Probleme, wie
z.B. der Feindatierbarkeit des oft unspezifischen Fundmaterials bzw. der
Befunde in Siedlungen und der Frage nach der teilweise nicht gesicherten Gleichzeitigkeit
einzelner Siedlungen sowie der verschieden langen absoluten Zeitspannen der
verglichenen Stufen. Im Zuge dieser Bevölkerungsabnahme kam es zu einer starken
Wiederbewaldung von bereits zuvor erschlossener Kulturlandschaft. Die
instabilen Klimabedingungen der Stufe III und A hatten eine Aufgabe bzw.
Verlagerung der Siedlungen und damit eine Abwanderungswelle in den temporär
klimagünstigeren Elb-Havelraum zur Folge.
In der
fortgeschrittenen frühen römischen Kaiserzeit (Stufe B) kam es zur intensiven
Aufsiedlung der östlichen und westlichen Oderregion durch Träger der
Lübsow-Gruppe, die einherging mit der Herausbildung von räumlich klar
getrennten Siedlungskammern. Die Grenzsäume dieser Siedlungskammern liegen
teilweise in Gebieten mit naturräumlich minderen Potentialen. Sie sind aber
teils auch anthropogen bedingt, wobei sich im zweiten Fall keine Ungunstlage
identifizieren lässt. Des Weiteren ist innerhalb der Siedlungskammern eine
deutliche Anbindung der Siedlungen an kleinere Gewässerläufe zu erkennen. Die
wenigen Fundstellen der Stufe A sind dabei als „Keimzellen“ dieses intensiven
Landesausbaus anzusehen. Es kann daher von einer autochthon entstandenen,
positiven Bevölkerungsentwicklung ohne erheblichen Zuzug nichtortsfester Gruppen,
allein durch gute wirtschaftliche Bedingungen eines stabilen recht trockenen
Klimas, ausgegangen werden. Einige besonders reich ausgestattete „Fürstengräber
vom Lübsow-Typ“ belegen das regional teilweise recht hohe Wohlstandsniveau,
einhergehend mit dem Vorhandensein einer zu Reichtum gekommenen elitären
Bevölkerungsschicht. Als Wirtschaftsform wurde nun die Viehweide wichtiger als
der Ackerbau. Typische Siedlungen der Stufe B weisen, wie mehrfach dokumentiert,
Langhäuser (Wohn-Stallhäuser), eher rechteckige (Wohn-)Gebäude sowie kleinere
Speichergebäude und Grubenhäuser auf. An sich liegen aber aus der frühen
römischen Kaiserzeit nur wenige großflächige Siedlungsgrabungen vor.
Mit dem Beginn der späten
römischen Kaiserzeit (Stufe C) ist eine deutliche Zäsur im Siedlungswesen zu verzeichnen,
die sich im Abbruch und der Verlagerung vieler Siedlungen widerspiegelt.
Einerseits kommt es schon in der zweiten Hälfte des 2. Jhs. AD zu einem
erheblichen Zuzug von Trägern der Wielbark Kultur aus dem östlichen Pomorze,
der sich im entsprechend neuen Fundmaterial gut erkennen lässt - wenn auch der
Wandel im Fundmaterial teilweise mit durch interaktive Akkulturation veränderte
Keramiktypen erklärt werden kann. Anderseits hatten die Ereignisse der
Markomannenkriege nachweislich auch Auswirkungen auf die Bevölkerung der
Oderregion (z.B. ersichtlich in der Zunahme der römischen Importgüter), sodass
es zu Umschichtungen in der Bevölkerung kam. Aus der Summe von Abwanderung und
Zuzug resultierte aber insgesamt gesehen ein positiver Bevölkerungssaldo. Der
hohe Wohlstand der so genannten „Fürstengräber der Haßleben-Leuna-Häven-Gruppe“
im nordwestlichen Untersuchungsgebiet ist sowohl im Beutezug und Söldnertum als
auch im Florieren der Wirtschaft, bzw. des auf Handel basierenden
Güteraustausches von Eisen, Salz, Sklaven und Naturprodukten (Felle, Honig und
dergleichen) aus der Oderregion begründet.
In der späten römischen
Kaiserzeit (Stufe C) ist anhand des Hausbaus der Siedlungen im Vergleich zur
Stufe B kein deutlicher Unterschied erkennbar. Jedoch sind in Stufe C
Grubenhäuser wesentlich häufiger als zuvor. Aus Stufe C liegen weit mehr und
großflächigere Grabungen vor. So werden die meist nur relativ kurz genutzten
Siedlungen der Stufe B in Stufe C länger genutzt und offenbar nimmt die
durchschnittliche Siedlungsgröße erheblich zu. Daher können nun auch konkrete
Aussagen zum Siedlungstyp gemacht werden. Die spätkaiserzeitlichen Siedlungen
deuten bereits schon dorfähnliche Strukturen an. So sind sie grundlegend in
vier Siedlungstypen zu unterscheiden:
1. Mehrfunktions-Siedlungen mit
systematisch räumlich separierten Wohn- und Produktionsbereichen, oft (halb-)kreisförmig um einen Platz geordnet
2. Reihensiedlungen mit
parallelen Haus- bzw. Hofzeilen und mikroregionaler Relieforientierung der
Gebäude
3. Gruppen- oder weilerartige
Siedlungen mit streuenden Haufen und unsystematisch verteilten
Wirtschaftsgebäuden und funktionalen Einheiten
4. Einzelhöfe als isolierte
Wirtschaftsbetriebe mit einfach konzipierten, gestreut liegenden Gehöften und
angegliederten Wirtschaftsgebäuden sowie Umzäunung
Das Voronoi-Diagramm der
Thiessen-Polygone der spätkaiserzeitlichen Fundstellen zeigt in der Abbildung der URL oben eine deutliche
Auflockerung der Siedlungskammern und eine Abnahme der Siedlungsdichte im
Vergleich zur vorhergehenden frühkaiserzeitlichen Stufe B. Schwierig gestaltet
sich eine klare Aussage zu möglichen Abwanderungsprozessen, da auch bei einer
relativen Siedlungsanzahlabnahme die absolute Bevölkerungsanzahl durch innere
Siedlungskonzentration nicht zwingend abnehmen muss. Überregionale Vergleiche
und Angaben aus den schriftlichen Quellen verweisen auf einen
nord-ostgermanischen Zuzug ins Rheingebiet. Bedenkt man die feucht-warme
klimatische Gunstphase der Stufe C im Odergebiet, so resultierte daraus für die
dortigen agrarisch wirtschaftenden Gruppen ein starker Bevölkerungsüberschuss.
Also ist trotz einer möglichen Teilabwanderung eine kontinuierlich hohe
Bevölkerungsanzahl im Odergebiet kein Widerspruch. Als agrarische Grundlage
nahm aber interessanterweise im Verlauf der späten römischen Kaiserzeit unter
den recht stabilen günstigen Klimaverhältnissen die Bedeutung des Ackerbaus ab
und die der Viehhaltung zu, was im Gegensatz zur Stufe B steht. Möglicherweise
kommen hier schon gesellschaftliche Auflösungserscheinungen zum Ausdruck, wobei
die mobilsten, kräftigsten Personen tendenziell häufiger abwanderten, was
wiederum einen erheblichen Wissensverlust, auch in agronomischer Hinsicht,
bewirkte. Die spätkaiserzeitlichen Siedlungskammern knüpfen ganz klar an die
der Stufe B an, jedoch sind sie nun in Stufe C durch Konzentrationsprozesse
voneinander räumlich stärker abgrenzt.
Die Identifizierung der
Eisenproduktion anhand der Feuchtböden, die aufgrund ihrer Pedogenese als
potentielle kleinflächige Raseneisenerz-Lagerstätten in Frage kommen, ist recht
uneindeutig. So kann es in vielen Gleyen zu abbaufähigen Eisenausfällungen
kommen, eine klare Eingrenzung ist jedoch nicht möglich. Folglich konnten
diesbezüglich auch keine Aussagen zur Bedeutung der Eisenverhüttung im
Odergebiet in spätgermanischer Zeit gemacht werden. Die massenhafte
Eisenproduktion, wie in der Niederlausitz in Stufe C–D, konnte basierend auf
der Befundlage an der Oder nicht belegt werden. Ein möglicher „ökologischer Raubbau“,
beispielsweise durch großflächige Abholzungen für den Erzabbau und die
Eisenverhüttung mit Holzkohle-Kokerei, konnte bisher an keinem Kolluvium der
Oderregion belegt werden. Möglicherweise besteht aber hier ein methodisches
Problem, dass auf den folgenden intensiven Überprägungsprozessen seit dem
Hochmittelalter basierend.
In der frühen
Völkerwanderungszeit (Stufe D) setzte eine drastische Klimaverschlechterung
ein, hin zu einem sehr trockenen, kühlen instabilen Wetter im Verlauf von nur
wenigen Jahrzehnten. Daraus folgten sehr schlechte Bedingungen für Ackerbau und
Viehzucht, die den in Subsistenzwirtschaft stehenden germanischen Gruppen
vielerorts die Lebensgrundlage entzog. Im beschränkten Umfang konnte dies durch
verstärkten Handel kompensiert werden, wie die gehäufte Fundstellenlage an von
der Geomorphologie vorgegebenen Handels- und Transitwegen belegt. Weiter
bestehen konnten Siedlungen in mikroregionalen Gunstgebieten mit gesicherter
Wasserversorgung, beispielsweise an Söllen. Die Siedlungsraumanalyse zeigt ein
starkes Zusammenschrumpfen der Siedlungskammern auf Restbereiche in denen noch
ein agrarisches Wirtschaften möglich war. So besteht eine hohe Disparität eines
Nebeneinanders von kleinräumig stark ungleichen Wirtschaftspotentialen, die in
der folgenden späten Völkerwanderungszeit zur weitgehenden Auflösung der
Siedlungskammern und einhergehender Entsiedelung führte. Gleichzeitig nahmen
die Flächen der weitgehend anthropogen unbeeinflussten, natürlich-potentiellen
Waldgesellschaften wieder stark zu, wobei in der Stufe E nur noch
„Restsiedlungsinseln“ im umliegenden Waldland bestanden. Als Siedlungsformen
sind die gleichen Typen, wie in der späten römischen Kaiserzeit, zu
identifizieren, die jedoch nun stark degeneriert vorliegen. Ebenso sind die
Parallelen im Hausbau frappierend. Jedoch Langhäuser, die von einer größeren
Siedlungsgemeinschaft genutzt wurden, sind nun in den Stufen D–E sehr selten. Häufig
sind dagegen kleinere, nun räumlich getrennte Wohn- und Stallhäuser,
Speichergebäude in Pfostenkonstruktion sowie Stab- und wahrscheinlich auch
Blockbauten, die von kleineren Familienverbänden, oft als Einzelweiler, genutzt
wurden. Des Weiteren sind in den Siedlungen zahlreiche funktional
unterschiedlich genutzte Grubenhausbefunde zu erkennen.
Interessanterweise befinden sich alle Spuren der Spätgermanen
ausschließlich in einem von NW-SO diagonal verlaufenden Streifen der sehr
fruchtbaren Mergelböden und stark gegliederten, kleinräumig unterschiedlichen
Naturraumpotentiale, die eine flexible (und damit ertragssichere)
Landwirtschaft als Erwerbsquelle überhaupt noch möglich machten. Auffällig ist
dabei die gehäufte Fundstellenlage beiderseits der Oder in Schwarzerdegebieten
mit Böden allerbester Fruchtbarkeit und vor allem optimalem
Bodenwasserhaushalt. Auch außerhalb des Untersuchungsgebietes, beispielsweise
in der Magdeburger Börde, im Thüringer Becken oder in der Wetterau, ist in
diesen relativ trocken-kontinental geprägten Beckenlandschaften zur Stufe E ein
relativ erhöhtes Fundaufkommen zu verzeichnen. Es besteht offensichtlich ein
deutlicher Zusammenhang zwischen der räumlichen Verbreitung von Schwarzerden
(Tschernosemen) und spätvölkerwanderungszeitlichen Fundstellen. Die klimatische
Feuchtphase der Stufe E ist somit eine überregionale Erscheinung, die auch
innerhalb von Gletscherstand-Analysen der Alpen deutlich erkennbar ist.
Der Zeitpunkt der frühsten
slawischen Einwanderung im Frühmittelalter ist nicht vor 700 AD anzusetzen, wobei aber erhebliche
Schwierigkeiten in der Datierung auf der Grundlage der geradezu typisch
unspezifischen Keramik und der allgemein sonstigen Fundarmut bestehen. Das
beginnende Frühmittelalter geht mit einer Trockenphase einher, die keine
potentiell günstige Voraussetzung für die Konservierung von Bauhölzern
darstellt. Dies ist der Hauptgrund, weshalb auch die Dendrochronologie und C14-Datierung
diesen Zeitraum bisher nur schlecht erfassen kann. Ebenso ist dies leider auch
der Fall für die gesamte Völkerwanderungszeit mit klimatisch instabilen
Verhältnissen und stark wechselnden Grundwasserständen: Die Zersetzung von im
Boden eingelagerten organischen Siedlungsspuren und Artefakten, wie Balken der
Hauskonstruktion oder Holzteller des Mobiliars etc., ist stark begünstigt und
wirkt sich somit negativ auf die Funderhaltung und einhergehende mögliche
Probenahme zu Datierungszwecken aus.
Die wenigen bekannten
frühslawischen Siedlungen weisen eine recht ungeordnete haufenartige Struktur
mit zahlreichen Grubenhäusern auf. Sie können dabei aber eine beachtliche
Siedlungsfläche, einer wohl größeren Siedlungsgemeinschaft, aufweisen. Die
frühslawischen Grubenhäuser sind, im Gegensatz zu den spätgermanischen, meist
mit einer innen liegenden Feuerstelle ausgestattet. Aufgrund der schwierigen
Datierung und damit einhergehenden nicht gesicherten Gleichzeitigkeit der
betreffenden Siedlungen des 8. –10. Jhs. sind Analysen zur
Siedlungsraumstruktur im Untersuchungsgebiet recht hypothetisch. Zweifelsohne
ist es schon im Verlauf des 8. Jhs. AD, nach einer nur kurzen
Konsolidierungsphase, schnell zu einer intensiven Aufsiedlung gekommen, die nur
durch einen starken Zuzug slawischer Gruppen aus dem östlichen Ostseehinterland
(Pomorze) und dem südöstlich gelegenen Warthegebiet im heutigen Wielkopolska
plausibel erklärbar ist. Die frühslawische Landnahme erfolgte sporadisch und
nicht flächendeckend, wobei einzelne Landschaften, d.h. siedlungsungünstige
Gebiete, nur durchstreift und vorerst nicht erschlossen wurden. Die sehr
interessante Tatsache, dass in den Siedlungsgunstgebieten der frühsten
slawischen Landnahme auch die spätesten germanischen „Restsiedlungen“ liegen,
belegt jedoch nicht echte Kontakte beider Gruppen, sondern nur ähnliche
Wirtschaftsweisen mit fast gleichen Anforderungen an die Umwelt.
Slawisch-germanische Kontakte könnten jedoch in Zuge der slawischen Immigration
auf einem geringen Niveau bestanden haben – gesicherte Beweise liegen jedoch
nicht vor. Das frühslawische Besiedlungsraummuster der Thiessen-Polygone des
Voronoi-Diagramms hat offensichtlich große Ähnlichkeiten mit dem
kaiserzeitlichen Raummodell von räumlich getrennten Siedlungskammern, die nicht
ausschließlich vom naturräumlichen Potential her bedingt sind, sondern in
Teilen anthropogen, als bewusst abgegrenzte Raumeinheiten, künstlich geschaffen
wurden. Hier spiegeln sich die Gruppeneinheiten der Stammesverbände in der
Gentilgesellschaft wider. Die Siedlungskammern haben sich als effiziente
„Raumverwaltungseinheiten“ erwiesen, da sie gleichzeitig einen Zusammenhalt
nach innen und eine deutliche Abgrenzung nach außen signalisierten. Anhand der
ähnlichen Wirtschaftsweisen von Spätgermanen und Frühslawen und der darauf
begründeten, nahezu identischen Anforderungen an die geoökologischen
Standortfaktoren für Siedlungen, ist die große Ähnlichkeit des Konzeptes der
Raumerschließung jedoch nicht ausschließlich erklärbar. Möglicherweise könnten
auch die Prozesse der westlich orientierten Akkulturation ihren Niederschlag in
der slawischen Raumordnung gefunden haben. Im Rahmen des nach Nordosten
expandierenden Merowingischen Reiches bestanden belegbar Kontakte zu den
slawischen Stammesführern und zwar in Form von Handel und Kommunikation, wie
die schriftlichen Quellen des 8. Jhs. AD verdeutlichen. Es gibt aber auch
einige Abweichungen einer deutlich eigenen Raumkonzeption. So gewinnen
besonders die Seeufer- und Spornlagen an Attraktivität, was im Zusammenhang mit
einem erhöhten Schutzbedürfnis der oft nach fortifikatorischen Aspekten
angelegten Siedlungsstandorten steht. Im Vergleich zur Völkerwanderungszeit
gewinnt sowohl der Ackerbau als auch die Viehhaltung stark an Bedeutung, sodass
sehr schnell wieder ein ähnlich hohes Niveau, wie in der späten römischen
Kaiserzeit (Stufe C), erreicht wird.
Die germanische Migration aus dem
Odergebiet ist anhand der vorliegenden Studie mindestens in drei Hauptphasen
gegliedert:
1. Bereits schon in der späten römischen Kaiserzeit kam es, trotz der
Gunstphase eines feucht-warmen Klimas, zu einer signifikanten Abwanderung
verstärkt ab der Mitte des 3. Jhs. AD, die durch die politische Schwäche des
Römischen Reiches (der so genannten „Reichskrise der Soldatenkaiser“ mit dem
Fall des obergermanisch-rätischen Limes 254 AD) und der folgenden
Grenzrückverlagerung an Rhein und Donau sowie den damit verbundenen
Möglichkeiten der Beutenahme ausgelöst wurden. Diese Sogwirkung des
krisengeschüttelten Römischen Reichs setzte sich als Dominoeffekt bis ins
östliche Barbaricum an der Oder fort. Die germanische Abwanderung ist
aber nicht nur nach Südwesten ausgerichtet zu verstehen, denn einige Germanen
kehrten monozyklisch wieder zurück, wie einzelne Gruppen mit besonders
kostbaren Beigaben in spätgermanischen Gräberfeldern verdeutlichen, die im
Untersuchungsgebiet als „Fürstengrabgruppe vom Typ Haßleben-Leuna-Häven“
bezeichnet werden.
2. In der frühen Völkerwanderungszeit kam es zu einer drastischen
Klimaverschlechterung, die großen Teilen der agrarisch geprägten Bevölkerung
die Grundlage der Subsistenzwirtschaft entzog. Aber auch die politischen
Verhältnisse des zerfallenden Römischen Reiches mit Landnahme- und weiterhin
bestehenden Beutemöglichkeiten potenzierten die sehr starke Abwanderung der
spätgermanischen Bevölkerung von der Oder, hauptsächlich ab der Stufe D2, da
aus der Stufe D1 noch zahlreiche Befundlagen bekannt sind. Auffällig ist die
verhältnismäßig hohe Besiedlungsdichte im feuchten Spree-Havelbereich, der bei
der südwestlich gerichteten Abwanderungsorientierung als Zwischenstation
genutzt wurde. Die Sogwirkung des Römischen Reiches mit seinen beeindruckenden,
hochwertigen Kulturgütern löste im Zusammenhang mit der Klimaverschlechterung
im Barbaricum eine stark wirtschaftlich orientierte Abwanderungswelle aus, die
im 5. Jh. AD (durch die gleichzeitige politisch-militärische Schwäche des
Römischen Reiches) ihren Höhepunkt erreichte. So bestand zweifelsohne in der
Hochphase der klimatischen Dürreperiode ein erhöhtes Konfliktpotential, wie
zahlreiche Germaneneinfälle in das Römische Reich deutlich vor Augen führen.
3. Trotz der starken Zunahme der Niederschlagssummen in der späten
Völkerwanderungszeit (Stufe E) konnten keine sicheren Getreideernten im
Odergebiet eingebracht werden, da einerseits die weiter wirkende Klimainstabilität
durch auf Starkregen folgende temporäre Dürrephasen dies nicht ermöglichte und
da anderseits durch die vorhergehende Migration, besonders der elitären,
jüngeren und flexiblen Bevölkerungsanteile, ein immenser Know-how-Verlust zu
postulieren ist. Diese Probleme wurden noch durch die starke Verbuschung und
Wiederbewaldung oder partielle Versteppung der zuvor in Stufe D aufgegebenen
Wirtschaftsflächen verstärkt, da zur ackerbaulichen Wiederunterkulturnahme
dieser Brachen für die arbeitsintensiven Rodungsmaßnahmen kein
Arbeitskräftepotential (z.B. durch einen positiven Bevölkerungssaldo bzw.
Geburtenüberschuss) vorhanden war. Nun wurden durch die relative Feuchtezunahme
in Stufe E1 die noch in der Trockenphase der Stufe D2 siedlungsgünstigen
Niederungen an Spree und Havel agronomisch uninteressant. Dadurch erfolgte dort
ebenfalls bis zur Stufe E2 eine fast vollständige Entsiedelung. Lediglich im
nördlichen Untersuchungsgebiet (im Hinterland der Ostseeküste) sind inselartig
wenige kleine Gruppen einer germanischen Restbevölkerung auch noch im 7. Jh. AD
(Stufe E3) sporadisch fassbar, deren ökonomische Basis, als Kompensation zur
nicht ertragsfähigen Landwirtschaft, im nach Skandinavien ausgerichteten Handel
begründet war.