Geo-Archaeological Research on River Oder

Digital Cultural Heritage

Einleitung

In der deutsch-polnischen Grenzregion der Oder ist in der Völkerwanderungszeit ein drastischer Abbruch der Besiedlung festzustellen, der mit einer Abwanderung einherging. In der Zeit von 450 bis 600 AD war die Region nahezu unbewohnt, wie eine dezidierte Fundstellenanalyse zeigt. Es wurde untersucht warum in dieser Zeit fast keine Menschen die Region bewohnten. War eine ökologische Krise der Grund für die Abwanderung? Leider liegen aus dem Gebiet nur recht wenige naturwissenschaftliche Daten vor, die diese These belegen oder widerlegen können. So mussten neue Wege gefunden werden, um Argumente zu identifizieren, die dieser Frage näher kommen. Durch eine systematische Site Catchment Analysis konnten Indizien des Paläoklimas gewonnen werden, die drastische Klimafluktuationen nachweisen und als die Hauptursache der Migrationen anzusehen sind.   


Fazit

Innerhalb eines neu entwickelten Geografischen Informationssystems wurden neben zahlreichen nicht freiverfügbaren Kartenwerken systematisch alle Luftbildaufnahmen der Untersuchungsregion an der Oder analysiert. Daneben wurden aber auch flächendeckend hochauflösende Side Looking Airborne Radar (SLAR) Laserscanndaten als drei-dimensionale Höhenmodelle interpoliert, um die archäologische Befundlage in Bezug zur topografischen Situation und dem standörtlichen, geoökologischen Potenzial zu erfassen. Als methodischer Ansatz wurde eine Site Catchment Analysis (Umfeldanalyse) konzipiert. In Archäo- und Geodatenbanken wurden die geoökologischen Standortfaktoren der zeitlich differenzierten Siedlungsfundstellen erfasst, auswertet und charakterisiert. Anhand dieses innovativen Forschungsansatzes konnten neben kulturgeschichtlich höchst aktuellen Desideraten auch bisher weitgehend unklare Theorien zum Paläoklima und damit zu wahrscheinlichen Gründen der Abwanderung aus dem Odergebiet in der Völkerwanderungszeit verifiziert werden. Vergleichend wurden außerdem noch die Verhältnisse der vorausgehenden frühen Eisenzeit und römischen Kaiserzeit sowie des folgenden, beginnenden slawischen Frühmittelalters untersucht. 

Ganz eindeutig kann in der Oderregion eine phasenhafte Abwanderung, sowohl anhand der Gräberfeld-, als auch anhand der Siedlungsanzahlen vom 3. bis 6. Jh. n.Chr. herausgestellt werden. Die Abwanderung ist sogar als sehr drastisch einzuschätzen, da die Fundstellenzahlen innerhalb von nur drei Jahrhunderten um über 90% abnehmen, so dass im 7. Jh. n.Chr. eine weitgehende Entsiedlung, bis auf sehr wenige sporadische Einzelfunde, belegbar ist. Diese Migrationen hatten zum einen dramatische Auswirkungen auf die Kulturgenese im Emigrationsgebiet der Oder, als auch zum andern in den Immigrationsgebieten im Limesvorland, wobei es gerade dort zu umbruchartigen gesellschaftlichen Veränderungen kam. Als Hauptursache der Emigrationen von der Oder in der Völkerwanderungszeit konnten (neben der allgemein bestehenden „Sogwirkung des Römischen Reiches“ in politisch instabilen Zeiten) Klimafluktuationen herausgestellt werden, die den agrarisch orientierten germanischen Siedlern die Lebensgrundlage bedeutend erschwerten oder gar entzogen. Klimaschwankungen potenzierten somit das Ausmaß der Migrationen.
Die germanische Abwanderung aus dem Odergebiet ist mindestens in drei Hauptphasen gegliedert:

1. Bereits schon in der späten römischen Kaiserzeit kam es, trotz Gunstphase eines feucht-warmen Klimas, zu einer signifikanten Abwanderung, die durch die politische Schwäche des Römischen Reiches (der so genannten Reichskrise der Soldatenkaiser mit dem Fall des obergermanisch-rätischen Limes 254 n.Chr. und der folgenden Grenzrückverlagerung an Rhein und Donau) im 3. Jh. n.Chr. und die damit verbundenen Beutemöglichkeiten ausgelöst wurde. Diese Sogwirkung des krisengeschüttelten Römischen Reichs setzte sich als Dominoeffekt bis ins östliche Babaricum an der  Oder fort.

2. In der frühen Völkerwanderungszeit kam es zu einer drastischen Klimaverschlechterung (einer ausgeprägten Trockenphase), die großen Teilen der agrarisch geprägten Bevölkerung die Grundlage der weitgehenden Subsistenzwirtschaft entzog. Aber auch die politischen Verhältnisse des zerfallenden Römischen Reiches mit Landnahme- und weiterhin bestehenden Beutemöglichkeiten von beeindruckenden, hochwertigen Kulturgütern potenzierten die sehr starke Abwanderung der spätgermanischen Bevölkerung von der Oder hauptsächlich in der ersten Hälfte des 5. Jhs. (ca. 410-440 n.Chr.). Diese wirtschaftlich orientierte Abwanderungswelle erreichte nun ihren Höhepunkt. So bestand zweifelsohne in der Hochphase der klimatischen Dürreperiode ein erhöhtes germanisch-römisches Konfliktpotential, wie sich anhand von Germaneneinfällen (d.h. entsprechenden Befundlagen, wie Brandschichten und Zerstörungshorizonte) im Römischen Reich zeigt.

3. Trotz der starken Zunahme der Niederschlagssummen konnten in der späten Völkerwanderungszeit des 6. Jhs. n.Chr. keine sicheren Getreideernten im Odergebiet eingebracht werden, da einerseits die weiter wirkende Klimainstabilität durch auf Starkregen folgende temporäre Dürrephasen dies nicht ermöglichte und da anderseits durch die vorhergehende Abwanderung, besonders der elitären, jüngeren und flexiblen Bevölkerungsanteile ein immenser  Know-how-Verlust zu postulieren ist. Diese Probleme wurden noch durch die starke Verbuschung und Wiederbewaldung oder partielle Versteppung der zuvor aufgegebenen Wirtschaftsflächen verstärkt, da zur ackerbaulichen Wiederunterkulturnahme dieser Brachen für die arbeitsintensiven Rodungsmaßnahmen kein Arbeitskräftepotential (z. B. durch einen positiven Bevölkerungssaldo bzw. Geburtenüberschuss) vorhanden war.
Lediglich im nördlichen Untersuchungsgebiet (in Südpommern) ist inselartig eine germanische Restbevölkerung auch noch im 7. Jh. n.Chr. sporadisch fassbar, deren ökonomische Basis als Kompensation zur nicht ertragsfähigen Landwirtschaft im Zusammenhang mit nach Skandinavien gerichtetem Handel zu sehen ist.