Abbildung: Vorläufige Teilergebnisse des verifizierten Zusammenhangs von archäologischer Fundstellenverteilung und geoökologischern Naturraumbedingungen an der untern Oder am Beispiel der in Klassen zusammengefassten Bodentypen von der späten Römischen Kaiserzeit bis zum slawischen Frühmittelalter – vergleichend die Analyse der Fundstellen und deren Umfeld im „Ranking-Verfahren“; Abb. und Statistik: A. Volkmann.
Folgende geoarchäologische und kulturgeschichtliche Ergebnisse zum Siedlungswesen und zu den Umweltbedingungen des Odergebiets konnten herauskristallisiert werden:
Aus der frühen Eisenzeit sind im Vergleich zu den zahlreichen Gräberfeldern der Göritzer Gruppe im Odergebiet nur sehr wenige Siedlungen mit Hausbefunden dokumentiert worden. Die Siedlungen waren meist als Einzelgehöfte mit Wirtschaftsnebengebäuden strukturiert, wobei die Siedlungsflächen beachtliche Ausmaße durch häufige Hausstandortverlagerungen in Form von „wandernden Siedlungen“ erreichen können. Grundsätzlich unterscheiden sich die bekannten Hausbefunde nicht wesentlich von denen der folgenden römischen Kaiserzeit. Die Fundstellen der frühen Eisenzeit befinden sich oft auf Schwemmfächern und Hangfüßen hin zu den Niederungen. Aufgrund der erkannten Klimasignale ist für die gesamte frühe Eisenzeit (Stufen I-III) von nur leicht schwankenden Feuchteverhältnissen auszugehen, die jedoch allgemein auf einem recht geringen Niveau waren. Die Bedeutung des Ackerbaus gegenüber der Viehzucht war recht gering. Die Temperaturvariabilität war im Mittel relativ gering und erreichte in Stufe II ein Minima. Die Raumstruktur der entwickelten Voronoi-Diagramme weist ein stark flächig streuendes Besiedlungsmuster auf. Offenbar kam es nicht nur innerhalb kontinuierlich bestehender Siedlungen zu Verlagerungen, sondern zeitgleich auch zu häufigem Standortwechsel, was eine intensive, weiträumig greifende Beeinflussung der natürlich potentiellen Vegetation der Waldgesellschaften zur Folge hatte. Zum Ende der frühen Eisenzeit (Stufe III) verweisen die Klimaproxies auf eine schnell einsetzende Trockenphase. Damit einhergehend nahm die Temperatur deutlich zu. Gleichzeitig verweisen die Zeiger für Viehhaltung auf eine geringere Bedeutung und die des Ackerbaus lassen eine Zunahme plausibel erscheinen. Darüber hinaus ist auch ein kultureller Wandel im archäologischen Fundmaterial zu erkennen, der zum einen das Ende der Göritzer Gruppe markiert und zum anderen den seit der Spätlatènezeit stärkeren Einfluss der elbgermanischen Jastorf Kultur verdeutlicht.
Die Klimainstabilität setzte sich auch noch in der beginnenden frühen römischen Kaiserzeit fort. In Stufe A stieg in einer sehr kurzen Zeitspanne, von wohl nur wenigen Jahrzehnten, die Humidität sehr drastisch an. Nun war Ackerbau auf den stark Wasser abführenden (drainenden) Sandböden des Untersuchungsgebietes besonders geeignet, die zuvor unter anderen klimatischen Bedingungen noch ackerbaulich recht ungeeignete Standorten waren. Mit dem zunehmenden Ackerbau einhergehend wurde die Viehhaltung als wirtschaftliche Erwerbsform weniger interessant. Da leider nur sehr wenige Siedlungsgrabungen der Stufe A aus dem Untersuchungsgebiet vorliegen, lässt sich zur inneren Struktur der Siedlungen nur wenig sagen. Vergleiche zu benachbarten Regionen erschließen die große Ähnlichkeit der Siedlungsbefunde mit denen der folgenden Stufe B. Offensichtlich kam es aber nicht zu einem echten Kontinuitätsbruch mit der früheisenzeitlichen Besiedlungstradition, denn zum einen belegen die Gräberfelder eine fortlaufende Nutzung und zum anderen weisen die Siedlungsbefunde eine räumliche Nähe zu vorhergehenden Siedlungen auf. Die Siedlungen und damit die Bevölkerung zog sich aber in die klimatischen und naturräumlichen Gunstgebiete zurück, wobei eine stark abgenommene Bevölkerungsanzahl in Stufe A wohl realistisch ist – trotz bestehender methodischer Probleme, wie z.B. der Feindatierbarkeit des oft unspezifischen Fundmaterials bzw. der Befunde in Siedlungen und der Frage nach der teilweise nicht gesicherten Gleichzeitigkeit einzelner Siedlungen sowie der verschieden langen absoluten Zeitspannen der verglichenen Stufen. Im Zuge dieser Bevölkerungsabnahme kam es zu einer starken Wiederbewaldung von bereits zuvor erschlossener Kulturlandschaft. Die instabilen Klimabedingungen der Stufe III und A hatten eine Aufgabe bzw. Verlagerung der Siedlungen und damit eine Abwanderungswelle in den temporär klimagünstigeren Elb-Havelraum zur Folge. In der fortgeschrittenen frühen römischen Kaiserzeit (Stufe B) kam es zur intensiven Aufsiedlung der östlichen und westlichen Oderregion durch Träger der Lübsow-Gruppe, die einherging mit der Herausbildung von räumlich klar getrennten Siedlungskammern. Die Grenzsäume dieser Siedlungskammern liegen teilweise in Gebieten mit naturräumlich minderen Potentialen. Sie sind aber teils auch anthropogen bedingt, wobei sich im zweiten Fall keine Ungunstlage identifizieren lässt. Des Weiteren ist innerhalb der Siedlungskammern eine deutliche Anbindung der Siedlungen an kleinere Gewässerläufe zu erkennen. Die wenigen Fundstellen der Stufe A sind dabei als „Keimzellen“ dieses intensiven Landesausbaus anzusehen. Es kann daher von einer autochthon entstandenen, positiven Bevölkerungsentwicklung ohne erheblichen Zuzug nichtortsfester Gruppen, allein durch gute wirtschaftliche Bedingungen eines stabilen recht trockenen Klimas, ausgegangen werden. Einige besonders reich ausgestattete „Fürstengräber vom Lübsow-Typ“ belegen das regional teilweise recht hohe Wohlstandsniveau, einhergehend mit dem Vorhandensein einer zu Reichtum gekommenen elitären Bevölkerungsschicht. Als Wirtschaftsform wurde nun die Viehweide wichtiger als der Ackerbau. Typische Siedlungen der Stufe B weisen, wie mehrfach dokumentiert, Langhäuser (Wohn-Stallhäuser), eher rechteckige (Wohn-)Gebäude sowie kleinere Speichergebäude und Grubenhäuser auf. An sich liegen aber aus der frühen römischen Kaiserzeit nur wenige großflächige Siedlungsgrabungen vor.
Mit dem Beginn der späten römischen Kaiserzeit (Stufe C) ist eine deutliche Zäsur im Siedlungswesen zu verzeichnen, die sich im Abbruch und der Verlagerung vieler Siedlungen widerspiegelt. Einerseits kommt es schon in der zweiten Hälfte des 2. Jhs. AD zu einem erheblichen Zuzug von Trägern der Wielbark Kultur aus dem östlichen Pomorze, der sich im entsprechend neuen Fundmaterial gut erkennen lässt - wenn auch der Wandel im Fundmaterial teilweise mit durch interaktive Akkulturation veränderte Keramiktypen erklärt werden kann. Anderseits hatten die Ereignisse der Markomannenkriege nachweislich auch Auswirkungen auf die Bevölkerung der Oderregion (z.B. ersichtlich in der Zunahme der römischen Importgüter), sodass es zu Umschichtungen in der Bevölkerung kam. Aus der Summe von Abwanderung und Zuzug resultierte aber insgesamt gesehen ein positiver Bevölkerungssaldo. Der hohe Wohlstand der so genannten „Fürstengräber der Haßleben-Leuna-Häven-Gruppe“ im nordwestlichen Untersuchungsgebiet ist sowohl im Beutezug und Söldnertum als auch im Florieren der Wirtschaft, bzw. des auf Handel basierenden Güteraustausches von Eisen, Salz, Sklaven und Naturprodukten (Felle, Honig und dergleichen) aus der Oderregion begründet. In der späten römischen Kaiserzeit (Stufe C) ist anhand des Hausbaus der Siedlungen im Vergleich zur Stufe B kein deutlicher Unterschied erkennbar. Jedoch sind in Stufe C Grubenhäuser wesentlich häufiger als zuvor. Aus Stufe C liegen weit mehr und großflächigere Grabungen vor. So werden die meist nur relativ kurz genutzten Siedlungen der Stufe B in Stufe C länger genutzt und offenbar nimmt die durchschnittliche Siedlungsgröße erheblich zu. Daher können nun auch konkrete Aussagen zum Siedlungstyp gemacht werden. Die spätkaiserzeitlichen Siedlungen deuten bereits schon dorfähnliche Strukturen an. So sind sie grundlegend in vier Siedlungstypen zu unterscheiden:
1. Mehrfunktions-Siedlungen mit systematisch räumlich separierten Wohn- und Produktionsbereichen, oft (halb-)kreisförmig um einen Platz geordnet
2. Reihensiedlungen mit parallelen Haus- bzw. Hofzeilen und mikroregionaler Relieforientierung der Gebäude
3. Gruppen- oder weilerartige Siedlungen mit streuenden Haufen und unsystematisch verteilten Wirtschaftsgebäuden und funktionalen Einheiten
4. Einzelhöfe als isolierte Wirtschaftsbetriebe mit einfach konzipierten, gestreut liegenden Gehöften und angegliederten Wirtschaftsgebäuden sowie Umzäunung
Das Voronoi-Diagramm der Thiessen-Polygone der spätkaiserzeitlichen Fundstellen (in der unteren Abbildung der verlinkten Web-Seite) zeigt eine deutliche Auflockerung der Siedlungskammern und eine Abnahme der Siedlungsdichte im Vergleich zur vorhergehenden frühkaiserzeitlichen Stufe B. Schwierig gestaltet sich eine klare Aussage zu möglichen Abwanderungsprozessen, da auch bei einer relativen Siedlungsanzahlabnahme die absolute Bevölkerungsanzahl durch innere Siedlungskonzentration nicht zwingend abnehmen muss. Überregionale Vergleiche und Angaben aus den schriftlichen Quellen verweisen auf einen nord-ostgermanischen Zuzug ins Rheingebiet. Bedenkt man die feucht-warme klimatische Gunstphase der Stufe C im Odergebiet, so resultierte daraus für die dortigen agrarisch wirtschaftenden Gruppen ein starker Bevölkerungsüberschuss. Also ist trotz einer möglichen Teilabwanderung eine kontinuierlich hohe Bevölkerungsanzahl im Odergebiet kein Widerspruch. Als agrarische Grundlage nahm aber interessanterweise im Verlauf der späten römischen Kaiserzeit unter den recht stabilen günstigen Klimaverhältnissen die Bedeutung des Ackerbaus ab und die der Viehhaltung zu, was im Gegensatz zur Stufe B steht. Möglicherweise kommen hier schon gesellschaftliche Auflösungserscheinungen zum Ausdruck, wobei die mobilsten, kräftigsten Personen tendenziell häufiger abwanderten, was wiederum einen erheblichen Wissensverlust, auch in agronomischer Hinsicht, bewirkte. Die spätkaiserzeitlichen Siedlungskammern knüpfen ganz klar an die der Stufe B an, jedoch sind sie nun in Stufe C durch Konzentrationsprozesse voneinander räumlich stärker abgrenzt. Die Identifizierung der Eisenproduktion anhand der Feuchtböden, die aufgrund ihrer Pedogenese als potentielle kleinflächige Raseneisenerz-Lagerstätten in Frage kommen, ist recht uneindeutig. So kann es in vielen Gleyen zu abbaufähigen Eisenausfällungen kommen, eine klare Eingrenzung ist jedoch nicht möglich. Folglich konnten diesbezüglich auch keine Aussagen zur Bedeutung der Eisenverhüttung im Odergebiet in spätgermanischer Zeit gemacht werden. Die massenhafte Eisenproduktion, wie in der Niederlausitz in Stufe C–D, konnte basierend auf der Befundlage an der Oder nicht belegt werden. Ein möglicher „ökologischer Raubbau“, beispielsweise durch großflächige Abholzungen für den Erzabbau und die Eisenverhüttung mit Holzkohle-Kokerei, konnte bisher an keinem Kolluvium der Oderregion belegt werden. Möglicherweise besteht aber hier ein methodisches Problem, dass auf den folgenden intensiven Überprägungsprozessen seit dem Hochmittelalter basierend.
In der frühen Völkerwanderungszeit (Stufe D) setzte eine drastische Klimaverschlechterung ein, hin zu einem sehr trockenen, kühlen instabilen Wetter im Verlauf von nur wenigen Jahrzehnten. Daraus folgten sehr schlechte Bedingungen für Ackerbau und Viehzucht, die den in Subsistenzwirtschaft stehenden germanischen Gruppen vielerorts die Lebensgrundlage entzog. Im beschränkten Umfang konnte dies durch verstärkten Handel kompensiert werden, wie die gehäufte Fundstellenlage an von der Geomorphologie vorgegebenen Handels- und Transitwegen belegt. Weiter bestehen konnten Siedlungen in mikroregionalen Gunstgebieten mit gesicherter Wasserversorgung, beispielsweise an Söllen. Die Siedlungsraumanalyse zeigt ein starkes Zusammenschrumpfen der Siedlungskammern auf Restbereiche in denen noch ein agrarisches Wirtschaften möglich war. So besteht eine hohe Disparität eines Nebeneinanders von kleinräumig stark ungleichen Wirtschaftspotentialen, die in der folgenden späten Völkerwanderungszeit zur weitgehenden Auflösung der Siedlungskammern und einhergehender Entsiedelung führte. Gleichzeitig nahmen die Flächen der weitgehend anthropogen unbeeinflussten, natürlich-potentiellen Waldgesellschaften wieder stark zu, wobei in der Stufe E nur noch „Restsiedlungsinseln“ im umliegenden Waldland bestanden. Als Siedlungsformen sind die gleichen Typen, wie in der späten römischen Kaiserzeit, zu identifizieren, die jedoch nun stark degeneriert vorliegen. Ebenso sind die Parallelen im Hausbau frappierend. Jedoch Langhäuser, die von einer größeren Siedlungsgemeinschaft genutzt wurden, sind nun in den Stufen D–E sehr selten. Häufig sind dagegen kleinere, nun räumlich getrennte Wohn- und Stallhäuser, Speichergebäude in Pfostenkonstruktion sowie Stab- und wahrscheinlich auch Blockbauten, die von kleineren Familienverbänden, oft als Einzelweiler, genutzt wurden. Des Weiteren sind in den Siedlungen zahlreiche funktional unterschiedlich genutzte Grubenhausbefunde zu erkennen.
Interessanterweise befinden sich alle Spuren der Spätgermanen ausschließlich in einem von NW-SO diagonal verlaufenden Streifen der sehr fruchtbaren Mergelböden und stark gegliederten, kleinräumig unterschiedlichen Naturraumpotentiale, die eine flexible (und damit ertragssichere) Landwirtschaft als Erwerbsquelle überhaupt noch möglich machten. Auffällig ist dabei die gehäufte Fundstellenlage beiderseits der Oder in Schwarzerdegebieten mit Böden allerbester Fruchtbarkeit und vor allem optimalem Bodenwasserhaushalt. Auch außerhalb des Untersuchungsgebietes, beispielsweise in der Magdeburger Börde, im Thüringer Becken oder in der Wetterau, ist in diesen relativ trocken-kontinental geprägten Beckenlandschaften zur Stufe E ein relativ erhöhtes Fundaufkommen zu verzeichnen. Es besteht offensichtlich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der räumlichen Verbreitung von Schwarzerden (Tschernosemen) und spätvölkerwanderungszeitlichen Fundstellen. Die klimatische Feuchtphase der Stufe E ist somit eine überregionale Erscheinung, die auch innerhalb von Gletscherstand-Analysen der Alpen deutlich erkennbar ist.
Der Zeitpunkt der frühsten slawischen Einwanderung im Frühmittelalter ist nicht vor 700 AD anzusetzen, wobei aber erhebliche Schwierigkeiten in der Datierung auf der Grundlage der geradezu typisch unspezifischen Keramik und der allgemein sonstigen Fundarmut bestehen. Das beginnende Frühmittelalter geht mit einer Trockenphase einher, die keine potentiell günstige Voraussetzung für die Konservierung von Bauhölzern darstellt. Dies ist der Hauptgrund, weshalb auch die Dendrochronologie und C14-Datierung diesen Zeitraum bisher nur schlecht erfassen kann. Ebenso ist dies leider auch der Fall für die gesamte Völkerwanderungszeit mit klimatisch instabilen Verhältnissen und stark wechselnden Grundwasserständen: Die Zersetzung von im Boden eingelagerten organischen Siedlungsspuren und Artefakten, wie Balken der Hauskonstruktion oder Holzteller des Mobiliars etc., ist stark begünstigt und wirkt sich somit negativ auf die Funderhaltung und einhergehende mögliche Probenahme zu Datierungszwecken aus. Die wenigen bekannten frühslawischen Siedlungen weisen eine recht ungeordnete haufenartige Struktur mit zahlreichen Grubenhäusern auf. Sie können dabei aber eine beachtliche Siedlungsfläche, einer wohl größeren Siedlungsgemeinschaft, aufweisen. Die frühslawischen Grubenhäuser sind, im Gegensatz zu den spätgermanischen, meist mit einer innen liegenden Feuerstelle ausgestattet. Aufgrund der schwierigen Datierung und damit einhergehenden nicht gesicherten Gleichzeitigkeit der betreffenden Siedlungen des 8. –10. Jhs. sind Analysen zur Siedlungsraumstruktur im Untersuchungsgebiet recht hypothetisch. Zweifelsohne ist es schon im Verlauf des 8. Jhs. AD, nach einer nur kurzen Konsolidierungsphase, schnell zu einer intensiven Aufsiedlung gekommen, die nur durch einen starken Zuzug slawischer Gruppen aus dem östlichen Ostseehinterland (Pomorze) und dem südöstlich gelegenen Warthegebiet im heutigen Wielkopolska plausibel erklärbar ist. Die frühslawische Landnahme erfolgte sporadisch und nicht flächendeckend, wobei einzelne Landschaften, d.h. siedlungsungünstige Gebiete, nur durchstreift und vorerst nicht erschlossen wurden. Die sehr interessante Tatsache, dass in den Siedlungsgunstgebieten der frühsten slawischen Landnahme auch die spätesten germanischen „Restsiedlungen“ liegen, belegt jedoch nicht echte Kontakte beider Gruppen, sondern nur ähnliche Wirtschaftsweisen mit fast gleichen Anforderungen an die Umwelt. Slawisch-germanische Kontakte könnten jedoch in Zuge der slawischen Immigration auf einem geringen Niveau bestanden haben – gesicherte Beweise liegen jedoch nicht vor. Das frühslawische Besiedlungsraummuster der Thiessen-Polygone des Voronoi-Diagramms hat offensichtlich große Ähnlichkeiten mit dem kaiserzeitlichen Raummodell von räumlich getrennten Siedlungskammern, die nicht ausschließlich vom naturräumlichen Potential her bedingt sind, sondern in Teilen anthropogen, als bewusst abgegrenzte Raumeinheiten, künstlich geschaffen wurden. Hier spiegeln sich die Gruppeneinheiten der Stammesverbände in der Gentilgesellschaft wider. Die Siedlungskammern haben sich als effiziente „Raumverwaltungseinheiten“ erwiesen, da sie gleichzeitig einen Zusammenhalt nach innen und eine deutliche Abgrenzung nach außen signalisierten. Anhand der ähnlichen Wirtschaftsweisen von Spätgermanen und Frühslawen und der darauf begründeten, nahezu identischen Anforderungen an die geoökologischen Standortfaktoren für Siedlungen, ist die große Ähnlichkeit des Konzeptes der Raumerschließung jedoch nicht ausschließlich erklärbar. Möglicherweise könnten auch die Prozesse der westlich orientierten Akkulturation ihren Niederschlag in der slawischen Raumordnung gefunden haben. Im Rahmen des nach Nordosten expandierenden Merowingischen Reiches bestanden belegbar Kontakte zu den slawischen Stammesführern und zwar in Form von Handel und Kommunikation, wie die schriftlichen Quellen des 8. Jhs. AD verdeutlichen. Es gibt aber auch einige Abweichungen einer deutlich eigenen Raumkonzeption. So gewinnen besonders die Seeufer- und Spornlagen an Attraktivität, was im Zusammenhang mit einem erhöhten Schutzbedürfnis der oft nach fortifikatorischen Aspekten angelegten Siedlungsstandorten steht. Im Vergleich zur Völkerwanderungszeit gewinnt sowohl der Ackerbau als auch die Viehhaltung stark an Bedeutung, sodass sehr schnell wieder ein ähnlich hohes Niveau, wie in der späten römischen Kaiserzeit (Stufe C), erreicht wird.
Die germanische Migration aus dem Odergebiet ist anhand der vorliegenden Studie mindestens in drei Hauptphasen gegliedert:
1. Bereits schon in der späten römischen Kaiserzeit kam es, trotz der Gunstphase eines feucht-warmen Klimas, zu einer signifikanten Abwanderung verstärkt ab der Mitte des 3. Jhs. AD, die durch die politische Schwäche des Römischen Reiches (der so genannten „Reichskrise der Soldatenkaiser“ mit dem Fall des obergermanisch-rätischen Limes 254 AD) und der folgenden Grenzrückverlagerung an Rhein und Donau sowie den damit verbundenen Möglichkeiten der Beutenahme ausgelöst wurden. Diese Sogwirkung des krisengeschüttelten Römischen Reichs setzte sich als Dominoeffekt bis ins östliche Barbaricum an der Oder fort. Die germanische Abwanderung ist aber nicht nur nach Südwesten ausgerichtet zu verstehen, denn einige Germanen kehrten monozyklisch wieder zurück, wie einzelne Gruppen mit besonders kostbaren Beigaben in spätgermanischen Gräberfeldern verdeutlichen, die im Untersuchungsgebiet als „Fürstengrabgruppe vom Typ Haßleben-Leuna-Häven“ bezeichnet werden.
2. In der frühen Völkerwanderungszeit kam es zu einer drastischen Klimaverschlechterung, die großen Teilen der agrarisch geprägten Bevölkerung die Grundlage der Subsistenzwirtschaft entzog. Aber auch die politischen Verhältnisse des zerfallenden Römischen Reiches mit Landnahme- und weiterhin bestehenden Beutemöglichkeiten potenzierten die sehr starke Abwanderung der spätgermanischen Bevölkerung von der Oder, hauptsächlich ab der Stufe D2, da aus der Stufe D1 noch zahlreiche Befundlagen bekannt sind. Auffällig ist die verhältnismäßig hohe Besiedlungsdichte im feuchten Spree-Havelbereich, der bei der südwestlich gerichteten Abwanderungsorientierung als Zwischenstation genutzt wurde. Die Sogwirkung des Römischen Reiches mit seinen beeindruckenden, hochwertigen Kulturgütern löste im Zusammenhang mit der Klimaverschlechterung im Barbaricum eine stark wirtschaftlich orientierte Abwanderungswelle aus, die im 5. Jh. AD (durch die gleichzeitige politisch-militärische Schwäche des Römischen Reiches) ihren Höhepunkt erreichte. So bestand zweifelsohne in der Hochphase der klimatischen Dürreperiode ein erhöhtes Konfliktpotential, wie zahlreiche Germaneneinfälle in das Römische Reich deutlich vor Augen führen.
3. Trotz der starken Zunahme der Niederschlagssummen in der späten Völkerwanderungszeit (Stufe E) konnten keine sicheren Getreideernten im Odergebiet eingebracht werden, da einerseits die weiter wirkende Klimainstabilität durch auf Starkregen folgende temporäre Dürrephasen dies nicht ermöglichte und da anderseits durch die vorhergehende Migration, besonders der elitären, jüngeren und flexiblen Bevölkerungsanteile, ein immenser Know-how-Verlust zu postulieren ist. Diese Probleme wurden noch durch die starke Verbuschung und Wiederbewaldung oder partielle Versteppung der zuvor in Stufe D aufgegebenen Wirtschaftsflächen verstärkt, da zur ackerbaulichen Wiederunterkulturnahme dieser Brachen für die arbeitsintensiven Rodungsmaßnahmen kein Arbeitskräftepotential (z.B. durch einen positiven Bevölkerungssaldo bzw. Geburtenüberschuss) vorhanden war. Nun wurden durch die relative Feuchtezunahme in Stufe E1 die noch in der Trockenphase der Stufe D2 siedlungsgünstigen Niederungen an Spree und Havel agronomisch uninteressant. Dadurch erfolgte dort ebenfalls bis zur Stufe E2 eine fast vollständige Entsiedelung. Lediglich im nördlichen Untersuchungsgebiet (im Hinterland der Ostseeküste) sind inselartig wenige kleine Gruppen einer germanischen Restbevölkerung auch noch im 7. Jh. AD (Stufe E3) sporadisch fassbar, deren ökonomische Basis, als Kompensation zur nicht ertragsfähigen Landwirtschaft, im nach Skandinavien ausgerichteten Handel begründet war.